„Hängende Gärten“ – Extremklassiker in Tirol

„Stand!“ rufe ich und hoffe, dass mich Frank, welcher unter einer Eissäule in einer schützenden Höhle steht, verstehen kann. Die zweite Seillänge hatte es erwartungsgemäß in sich. Den Einstieg bildet eine freistehende Säule an derem Ende ich schon von unten eine eingerichtete Abseilschlinge sah. An der Schlinge angekommen konnte ich um die Ecke schauen und sah einen bizzaren Eisüberhang. Der typische Eiskletter-Landregen frohr umgehend an den Eistools fest und es galt schnell weiterzuklettern. Man konnte den Eiszapfen beim Wachsen regelrecht zusehen.

Die erste Säule
Die erste Säule

Beim Anblick des Überhanges wurde mir auch klar, warum die Abseilschlinge dort war. Stummes Zeugnis von Begehungen, welche an dieser Stelle mit „Wir waren hier! Jungens wir seilen ab.“ endeten. Aber wie sind Frank und ich hierhergekommen? Auf der Suche nach Eis waren wir zwei Tage zuvor nach Avers gefahren: Hohe Lawinengefahr!; die Toptour „der Thron“ im oberen Abschnitt zusammengebrochen. Die Ausweichvariante im Eisklettergarten bei Plusgraden führte umgehend zu Depressionen, als wir beide in einem vierer Eisfall an einer Schraube ruhen mussten. Kurzum: Wenn es einmal nicht läuft, dann läuft es nicht! Aber genau dort trafen wir Marina und Gerd. Gerd musste nicht ruhen, stieg alles sehr souverän und machte das offensichtlich nicht zum ersten Mal in der ausklingenden Saison. Ob seiner oberarmdicken Unterarme beantwortete er die Frage, ob er eine Stunde lang an einem Arm hängen könnte verwundert mit „Ja“. Total normal. Herr Arzt, ich kann nicht eine Stunde lang an einem Arm hängen! Zur Stimmungsaufhellung berichtete Gerd außerdem von einer Begehung der „Hängenden Gärten“ und dortigen guten Bedingungen.

Topo der Hängenden Gärten. Die Seillängen 2 und 3 können auch verbunden werden.
Topo der „Hängenden Gärten“. Die Seillängen 2 und 3 können auch verbunden werden.

Die „Hängenden Gärten“ sind in meinem Eiskletterführer leicht zu finden. Die Seite ist, so wie einige andere auch, mit dem Verpackungspapier einer Schokopraline markiert. Ich kann mich genau an die Situation erinnern: Die Heizung stand so zwischen Stufe 2 und 3, meine Füße durch Wollsocken vor kompletter Überhitzung geschützt an den Heizkörper gestemmt. Neben dem Sofa auf dem Boden ein Korb voll mit vernachlässigten Weihnachtsknabbereien. Papierrascheln und Schmatzen hin und wieder unterbrochen vom Geräusch des Umblätterns im Eiskletterführer. „Oh“ und „Ahh“ hübsches Bild von hübschem Eisfall. Faszinierend! Schokopraline ausgepackt – gemampft – Seite markiert – Heizung leicht zurückgedreht. So eben auch mit der Seite bei den Hängenden Gärten. Der Eisfall ist als Extremklassiker bekannt und galt lange als eine der schwierigsten Eisformationen in Tirol. Seine vier Seillängen ziehen sich über 150 Meter nach oben und es warten Schwierigkeiten im 6. Eisgrad auf die Aspiranten.

Frank hat den ersten Eisüberhang hinter sich
Frank hat den ersten Eisüberhang hinter sich

Das sollte also das Projekt sein. Sollte es wirklich? Meine Eisklettersaison würde mit diesem Ausflug beginnen und gleichzeitig auch wieder enden. Die Saison bestand bisher aus drei Seillängen im dritten und vierten Eisgrad. Alles vergessen, alles ungewohnt und scheinbar neu – eben leicht zufrieden zu stellen. Es galt aber eine der Seitenmarkierungen aus dem Eiskletterführer zu entfernen. Probiert werden sollte es! Der erste schwierige Abschnitt an einer freistehenden Säule empor und einen anstrengenden Hangelquergang über einen Überhang hinweg lagen hinter uns. Da ich aber noch keine Zeit hatte das Problem mit meinen defekten Unterarmen beim Arzt zu lösen, richtete ich mich an soliden Eisstrukturen zum Zwischenstand ein. Dann weiter eine ansteigende Querung zu einem zweiten Überhang. Hinter einer kleinen Säule kann ich mich in einen Hohlraum stützen und schrauben. Geschafft! Um die Ecke rum und Blick nach oben. Ich sah 10 bis 15 Meter senkrechtes Eis. Ich konnte Spuren vorheriger Begehungen sehen, was beim Eisklettern vieles einfacher macht. Aber eine kurze Befragung meiner Unterarme viel mehr oder weniger negativ aus. Frank bemerkte scheinbar meine Zweifel und fragte „wie siehts aus? Wie gehts weiter?“. „Brettsteil“ seufzte ich zurück und ging ans Werk. Angst vor dem Runterfallen, fragiles Eis, dicke Unterarme, krampfige Finger, schlechte Schraube, mehr Angst, etwas bessere Schraube, Spinndrift, sprödes Eis, schlechte Schraube und so weiter. Endlich am Stand angekommen bin ich fix und fertig und spiele beim Nachsichern mit dem Gedanken abzuseilen. Die Schwierigkeiten lagen ja hinter uns. Von jetzt an würde nur noch eine Seillänge im 5. Grad folgen. Wärend Frank nachsteigt, erhole ich mich aber grad so weit, dass es für die letzte Seillänge gut reicht – wäre auch schade drum gewesen.

Geschafft! Wenn auch mit den üblichen Eiskletterverletzungen durch Splitter.
Geschafft! Wenn auch mit den üblichen Eiskletterverletzungen durch Splitter.

Ein langes Eiskletterwochenende pro Saison ist wie ich finde deutlich zu wenig. Und ich muss dringend zum Arzt und das mit den Unterarmen erledigen lassen 🙂

Kurzinfo:

Talort:
Lüsens (Tirol)
Route:
Hängende Gärten von Andreas Orgler und Otti Wiedmann (1988)
Höhe:
140 Meter auf 1.700 Metern
Grad:
WI6
Führermaterial:
Eisklettern in Tirol von Axel Jentzsch-Rabl (sehr gut!)
Bedingungen:
Guter Eisaufbau kann schlechter sein
Karte:
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